Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP) Tagebuch

PrEP ja oder nein? Diese Frage hat mich lange beschäftigt. Macht es Sinn, ein Medikament einzunehmen, damit der Körper das Medikament nicht eines Tages braucht?

Dies ist nur eines von vielen zugelassen Medikamenten. Es soll keine Werbung sein, sondern dient nur zur Bebilderung des Beitrags.
© Klaus Kirschner

Ich bin keine 30 mehr. Als AIDS aufkam, befand ich mich gerade in meinem sogenannten zweiten Coming-out. Kurzum, ich hatte Fetisch und SM für mich entdeckt. Aber bei allem Spaß, die Angst spielte immer mit. Bist du vorsichtig genug? Ist doch was passiert? Zu viele Freunde sind – gerade in der Anfangszeit – an den Folgen ihrer Infektion verstorben. Ständige Angst ist kein guter Partner beim Sex.

Und jetzt soll es möglich sein, dass das Medikament, dass so vielen Menschen geholfen hat und HIV von einer tödlichen zu einer chronischen Krankheit macht, auch präventiv wirken?

Meinen langen Weg zur PrEP habe ich in diesem Tagebuch festgehalten. Es ist kein Ratgeber. Es skizziert nur meinen persönlichen langen Weg. Aber vielleicht hilft es bei der Entscheidung PrEP ja oder nein?

Februar 2015

Auf unserem jährlichen Treffen der Sozialbeauftragten der Leather & Fetish Community e.V. (LFC) bei der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) in Berlin hörte ich zum ersten Mal, das Truvada (Medikament zur Behandlung von HIV) von der amerikanischen Gesundheitsbehörde auch für die Prävention zugelassen wurde. Die sogenannte Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP) zur Vorbeugung einer Ansteckung mit HIV wurde bereits 2012 schon einmal in den USA zugelassen und durch Studien begleitet.

In einigen europäischen Ländern, z. B. in Großbritannien, ist die PrEP bereits zugelassen und zeigt erste Erfolge. Außerhalb Großbritanniens ist die PrEP noch nicht legal erhältlich. Die Europäische Kommission prüft, ob eine Zulassung erfolgen soll.

Im Rahmen des Treffens habe ich noch oft mit meinen Kollegen darüber gesprochen, es dann aber erst einmal wieder aus den Augen verloren. Die USA sind weit und die Kosten hoch.

Februar 2016

Ein Jahr ist vergangen und ich sitze wieder mit meinen Kollegen bei der DAH zur Schulung. Berichten zufolge soll die Zulassung in Europa voraussichtlich im Sommer 2016 erfolgen. In den Ländern, in denen die PrEP bereits erhältlich ist, zeigen sich die ersten Erfolge. Die Zahl der HIV-Neuinfektionen sinkt. Allerdings steigen die Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Krankheiten (STIs). Jede Medaille hat halt zwei Seiten.

Sommer 2016

Die Europäische Kommission lässt die PrEP-Nutzung für Erwachsene zu. Die Kosten dafür sind sehr hoch und werden nicht von der Krankenkasse übernommen.

September 2017

Die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) vermeldet auf ihrer Website magazin.hiv einen kleinen Durchbruch: Bereits ab Mitte September 2017 sollen günstige PrEP-Generika auch in Deutschland erhältlich sein. Eine Vier-Wochen-Packung mit 28 „Pillen zum Schutz vor HIV“ des Herstellers Hexal sollen demnach € 51,00 kosten. Das Originalmedikament Truvada kostet rund € 800,00 pro Monat.  Krankenkassen übernehmen die Kosten bislang nicht. Voraussetzung für die PrEP ist eine umfangreiche Untersuchung durch einen Facharzt. Hierbei wird vor allem getestet ob eine HIV-Infektion oder eine andere Erkrankung vorliegt.

All das sind erfreuliche Nachrichten. Aber ich bin immer noch zwischen ja und nein hin und her gerissen.

August 2018

Jens Spahn, unser Gesundheitsminister kündigt an, dass er die PrEP zur Kassenleistung machen will. Man darf gespannt sein.

Dezember 2018

Kurz vor Weihnachten habe ich mich mit einem Freund getroffen. Wir kennen uns schon über 20 Jahre. Unsere Freundschaft wird von einem großen gegenseitigen Vertrauen getragen. Wir erzählen uns fast alles. Auch Dinge, die wir mit unseren Partnern aus verschiedenen Gründen nicht besprechen. Er erzählt mir, dass er seit ca. vier Wochen die PrEP nimmt. Als „Prepster“ fühle er sich wohl. Das Medikament verträgt er gut.

Über die Weihnachtstage geht mir der Gedanke nicht mehr aus dem Kopf. Soll ich oder soll ich nicht? Immerhin sind drei meiner derzeitige Sexpartner HIV-positiv und unterhalb der Nachweisgrenze. Also nicht mehr infektiös. Ist es ihnen gegenüber fair, Sex mit Angst im Hinterkopf zu haben? Auch wenn der Verstand sagt, dass eigentlich nichts passieren kann. Schließlich gelten „Schutz durch Therapie“, „PrEP“ oder „Kondom“ als sichere Schutzvariante. Stichwort: Safer Sex 3.0!

Januar 2019

Auf dem Neujahrsempfang der Frankfurter AIDS-Hilfe bespreche ich mich mit einem Mitglied der LoveRebells, dem Präventionsteam der Frankfurter AIDS-Hilfe. Er empfiehlt mir, einen Arzt aufzusuchen und nennt mir die Adresse seines Arztes.

Noch am gleichen Abend bespreche ich das Ganze erstmals mit meinem Mann. Er steht dem Thema sehr offen gegenüber und meinte nur: „Wenn du es willst, dann mache es auch“!

Jetzt gibt es keinen zurück mehr. Gleich am nächsten Tag habe ich den Termin in der Schwerpunktpraxis vereinbart.

Februar 2019

Das Beratungsgespräch mit meiner Ärztin war ausführlich und die Untersuchungen alle negativ. Seit Mitte Februar nehme ich jetzt PrEP. Ich habe mich für die tägliche Einnahme des Medikaments entschieden.

Mai 2019 (Nachtrag)

Am 11. Mai 2019 trat das Termin- und Versorgungsgesetz (TSVG) in Kraft. Es regelt auch den Anspruch gesetzlich Krankenversicherter auf Finanzierung der HIV-Prophylaxe PrEP.

Voraussichtlich ab dem 1. September 2019 werden die Kosten für die erforderlichen Untersuchungen und für die zur PrEP zugelassenen Medikamente für Menschen mit einem substanziellen Infektionsrisiko von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.

Fazit: Mein Weg zur PrEP war lang und von vielen Gewissensbissen begleitet. Aber es hat sich gelohnt. Endlich kann ich meine Sexleben ohne Angst ausleben. Und das ist auch in meinem Alter ein unschätzbar wertvolles Stück Lebensqualität.

Klar weiß ich, dass die PrEP keinen 100 %-igen Schutz gibt. Ein geringes Risiko bleibt und auch gegen STIs bietet sie keinen Schutz. Aber durch die regelmäßigen Untersuchungen alle drei Monate würden sie im Fall des Falles rechtzeitig erkannt und könnten behandelt werden. Hundertprozent sicher ist halt nur der Sex, den man nicht hat 😊. Und ich will auf meinen noch lange nicht verzichten.